Aber wer dann?
Diese starren Augen, der leere Blick, die völlige Versunkenheit des Kindes am Nachbartisch im Restaurant, das ein Smartphone vorgesetzt bekommen hat, damit die Eltern in Ruhe essen können, hat mich erschreckt und lange beschäftigt.
Die Wirkung von Smartphones und Tablets ist mir als Kommunikationswissenschaftlerin durchaus bekannt; die Anziehungskraft, die sie mit ihren leuchtenden Bildschirmen und bunten Bildern haben, die man nur durch Antippen bewegen kann – kinderleicht. Für mich war klar: Das möchte ich meinem Kind nicht antun. Ich möchte es schützen und es mir nicht so leicht machen wie andere Eltern. Ich möchte ihm Alternativen anbieten und mich mit ihm beschäftigen – auch beim Abendessen im Restaurant.
„Ich versuchte meine Mediennutzung einzuschränken und forderte Luis Papa auf, das auch zu tun.“
Vorbild- und andere Auswirkungen
Als Lui noch ein Baby war, war ich froh mit dem Smartphone einen kleinen Helfer an meiner Seite zu haben. Stillend den ganzen Tag ans Sofa gefesselt recherchierte ich zu Schlafproblemen, schaute mir Videos an wie man ein Neugeborenes badet, kommunizierte mit meiner Familie, bestellte Essen und machte Fotos. Lui war noch klein und schlief oft in meinen Armen ein. Aber, er wurde größer, wacher, aufmerksamer und beobachtete ALLES. Und es wuchs meine Angst, meinem Sohn ein schlechtes Vorbild zu sein. Ich versuchte meine Mediennutzung einzuschränken und forderte Luis Papa auf, das auch zu tun. Aber das kleine leuchtende Gerät wurde immer interessanter und es dauerte nicht lange bis Lui es in die Finger bekam. Es war erstaunlich wie schnell er damit umzugehen lernte. Das machte mir Angst und ich machte mir Vorwürfe. Ich sah meinen Sohn in meiner Vorstellung stundenlang ins Smartphone glarend anstatt mit anderen Kindern über die Wiesen zu laufen. Sein Gehirn würde verkümmern und seine Daumen riesige Muskeln bekommen. Und dann waren da noch die anderen Eltern: Was würden sie über mich denken?
Medien sind Teil meines Lebens
Aber ich spürte auch einen Widerstand. Kinder müssen den Umgang mit Medien und Medieninhalten doch auch lernen, denn sie gehören zu unserem Leben dazu. Mein Sohn sieht mich jeden Tag wie ich am Laptop arbeite, am Smartphone unterwegs Emails checke, nach Öffnungszeiten google und meine Lieblingssongs aus der Mediathek abspiele. Ich wollte alternative Ansichten und Wege finden, auch um meinen Alltag zu erleichtern und Mediennutzung zu rechtfertigen. In dieser Zerrissenheit begann ich meine Fühler auszustrecken und mich mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Ich beobachtete Eltern, die augenscheinlich einen entspannteren Umgang mit dem Medienkonsum ihrer Kinder hatten. Ich recherchierte und las viel und fand vor allem Handlungsanleitungen: Zeiten festlegen, Regeln durchsetzen. Die passten allerdings so gar nicht zu meinem Zugang, wie Heranwachsen sein sollte.
Selbstbestimmte Mediennutzung
In meiner Unsicherheit versuchte ich mein Bestes, brachte das Smartphone vor Lui in Sicherheit und versteckte meinen eigenen Medienkonsum so gut es ging, als plötzlich ein Newsletter in mein Postfach flatterte. Ruth vom Kompass, die sich mit friedvoller Elternschaft beschäftigt, schrieb über Bildschirmmedien und Mediennutzung. Ihr Zugang war so frei und losgelöst von allem anderen, was ich bisher gelesen und gedacht hatte, so flexibel und individuell und auch noch überraschend einfach. Es war plötzlich alles möglich und bekam eine wunderbare Leichtigkeit. Ich erlaube mir, immer wieder neu zu entscheiden anstatt strengen Regeln zu folgen und ermögliche meinem Sohn damit ein selbstbestimmtes Heranwachsen auch in diesem Bereich.
„Nicht das Smartphone ist das Monster, sondern meine eigenen Ängste und Vorstellungen.“
Das wiedergefundene Vertrauen zu mir und zu meinem Sohn half mir schließlich auch dabei zu erkennen, dass nicht das Smartphone das Monster ist, sondern meine eigenen Ängste und Vorstellungen. Ich konnte das Smartphone wieder als das sehen, was es für mich tatsächlich ist und das auch meinem Sohn vermitteln: ein Werkzeug mit dem man viele tolle Sachen machen kann, vom Anleitungsvideo, wie man ein blanchiertes Ei macht (die liebt mein Sohn) bis hin zum in Kontakt bleiben mit Familie und Freunden in Zeiten von Corona. Und manchmal darf mich das Smartphone auch retten, wenn ich Home Office und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen muss. Lui schaut dann ein Musikvideo nach dem anderen – und was ist schon einzuwenden gegen Hey Jude und Ba-Ba-Banküberfall?
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