Wie man gleichwürdig Computerspiele begleiten kann
Die Gleichwürdigkeit ist ein Begriff den der dänische Familientherapeut Jesper Juul geprägt hat. Er bezeichnet einen zentralen Wert für gelungene Beziehungen. Gleichwürdig ist man in Beziehungen, wenn beide Seiten die gleiche Würde haben, das heißt für Eltern-Kind-Beziehungen, dass ich die Gefühle, Reaktionen und Gedanken des Kindes genauso ernst nehme wie die eines Erwachsenen. Ich trete dem Kind mit Neugierde und Offenheit gegenüber und möchte seine Welt kennenlernen, anstatt zu erklären, wer es ist.
Neulich hat Lui in der Maus-App ein Computerspiel entdeckt: Dabei führt man die Maus auf einem Wakeboard über einen Parcours von verschiedenen Hindernissen. Am Anfang war es schwierig und Lui schaffte nur eine kurze Strecke. Aber er lernte schnell und wurde besser.
Ich beobachtete Lui auf seinem Lieblingsplatz, dem gelben Sofa in unserer Küche, wie er voller Anspannung wild auf den Bildschirm tippte, zappelig und ganz und gar gebannt von seiner Tätigkeit und mit dem eindeutigen Willen diese Herausforderung zu meistern. Das Spiel zog seine komplette Aufmerksamkeit auf sich - psychisch und physisch. Es war eine ganz andere Tätigkeit als das völlig entspannte Videoschauen, das er seit Monaten mit Vorliebe betrieb. Sollte das die nächste Stufe der Mediennutzung sein, jetzt schon?!
Da setze sich der Papa zu Lui und schaute ihm zu. Als Lui dann jubelnd das erste Mal das Ziel erreichte, sagte er, „Ich will auch mal probieren“. Lui wies seinen Papa in das Spiel ein und gab ihm ein paar Tipps für den Start. Auch der Papa entwickelte rasch eine große Begeisterung für das Spiel. Die beiden wechselten sich mit ihren Versuchen ab und feuerten einander an bis auch der Papa endlich das Ziel erreichte.
Schaut man auf diese Episode mit dem Blick von Jesper Juul, findet man darin ein wunderbares Beispiel für eine gleichwürdige Beziehung. Der Papa ging auf das Interesse seines Sohnes ein und ließ sich seine Welt zeigen. Lui genoß das echte Interesse sichtlich und konnte noch dazu etwas erleben, in dem er schon besser war als sein Papa. Er war der, der ihm zeigte wie man es macht. Georg Milzner, deutscher Psychologe, Psychotherapeut und Autor von „Digitale Hysterie“ beschreibt eine ähnliche Situation in einem Vortrag. Er betont, dass es „die eigene Position (als Erwachsene*r) durchaus stärkt, wenn man sagt, ich kann es noch nicht, aber vielleicht kann ich es ja lernen.“ Dafür sind Computer, Tablet und Smartphone wunderbar geeignet, weil sich die Kinder in Windeseile besser damit auskennen als die Erwachsenen.
Immer wieder auf diese Weise in Beziehung zu gehen, ist die Basis für ein gutes Selbstgefühl des Kindes und für die Entwicklung von Kindern, die wissen wer sie sind und was sie brauchen, wo ihre Grenzen liegen und wie sie diese wahren. Die Gleichwürdigkeit ist der Weg um solche tragfähigen Beziehungen zu etablieren. Die Verantwortung dafür liegt bei den Erwachsenen.
Lui trainierte den ganzen Nachmittag bis er jede Strecke auf Anhieb schaffte. Seither sind Computerspiele wieder eher unwichtig und werden lässig dazwischen gestreut, wenn er eine Pause vom Videoschauen braucht.
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